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NACHBERICHT: lost in … demolition? warum wir alte Häuser lieben

27. März 2023

Elke Beccard
Elke Beccard
von links:                Prof. Tim Rieniets, Timm Sassen, Gabriele Pfründer, Constantin Hörburger, Patrick Bunnemann, Prof. Amandus Samsøe Sattler, Andrea Wallrath

Es wird fleißig abgerissen in dieser Stadt und in diesem Land, wider besseres Wissen. Eine Expertenrunde fasste beim Montagsgespräch des BDA Köln diese Fakten und Einsichten in ihren vielen Facetten prägnant zusammen. Die Baubranche verursacht 40% des gesamten CO2-Ausstoß in Deutschland, der zu 50% bis 70% bei der Herstellung eines neuen Gebäudes anfällt. Die Stadt Köln will bis 2035 klimaneutral sein, um CO2-Emissionen also zu senken, sollte man möglichst wenig neu bauen. Doch diese Erkenntnis kommt bisher nicht an, gegen den „eingeübten Entscheidungsmechanismus von Abriss und Neubau,“ wie es Andrea Wallrath in ihrer Einleitung formuliert. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des BDA Köln und verantwortlich für das Konzept der Veranstaltung. Die Moderne habe uns gelehrt, das Neue sei besser als das Alte, und diese Lehre ist verinnerlicht.

Neue Wohnungen bauen zum Beispiel, das will der Bund, 400.000 pro Jahr sollen es werden. Dringend benötigt, aber mit einem Ausstoß von 16 Millionen Tonnen CO2 belastet, wie Professor Amandus Samsøe Sattler vorrechnet. Er ist Architekt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen DGNB e.V.. Betrachtet man von der Stadt Zürich erstellte Erfahrungswerte, so ergeben sich beim Neubau durchschnittlich 11 Kilogramm Emissionen pro Quadratmeter Bezugsfläche im Jahr. Bei der Instandsetzung oder auch dem Neubau mit weiterverwendeten Bauteilen sind es weniger als die Hälfte, nur 4,1 Kilo pro Quadratmeter. „Der Gebäudebestand ist der Schlüssel,“ betont Prof. Sattler „Der Ersatzneubau nützt dem Klima nicht“.

Ørsteds Haver, Kopenhagen 2021 – Das Architekturbüro Tegnestuen Lokal hat mit Ørsteds Haver dem hässlichsten Wohnblock in Kopenhagen ein sensationelles Makeover verpasst.

Auch Gabriele Pfründer, Architektin und Geschäftsbereichsleiterin Landesbau Gebäudemanagement Schleswig-Holstein ist überzeugt: „Wir bauen zu viel und wenn das Falsche! Die Rohbausubstanz von Bestandsgebäuden muss als energetisches Kapital betrachtet werden.“ Vergleicht man die Kosten von Sanierung und Neubau, so müssen die so genannten Grauen Emissionen – die bei Herstellung, Transport, Verpackung, Lagerung und Entsorgung des Baumaterials anfallen – angemessen bepreist mitberechnet werden. In Schleswig-Holstein liegt der Preis pro Tonne CO2 bei circa 200 Euro, aus ihrer Sicht zwar immer noch zu niedrig, aber halbwegs fair.

Das Umsetzungskonzept ihrer Behörde besagt, dass der Gebäudebestand nur klimaneutral auszurichten ist, indem sich die Sanierungsquote maximal erhöht. Welche Folgen hat das auf die konkreten Planungen der Landesregierung? Diese hat nach politischer Debatte immerhin für die nichtenergetischen Sanierungen ihrer Landesgebäude einen Planungsstopp verhängt, es ist nur noch energetisch zu sanieren. Zugleich wurde auch entschieden, dass es zur Gebäudekategorie der (Ersatz-) Neubauten ein Moratorium geben wird.

Die Baukosten von Vorhaben ehrlicher und umfassender zu kalkulieren, ist ein wichtiges Erfordernis, ebenso sind bestehende Regularien und Vorschriften, die bisher auf den Neubau ausgerichtet wurden, für eine vereinfachte Umbaupraxis anzupassen. Genau das ist eines der Ziele von Architects for Future Deutschland e.V., für die Patrick Bunnemann auf dem Podium saß. Die sogenannte Musterbauordnung der Bauministerkonferenz zum Beispiel soll in Zukunft Nachhaltigkeit als Schutzziel definieren, bei Bauprodukten Kreislauffähigkeit einfordern, Mobilitätskonzepte statt Stellplätze verlangen und eine Genehmigungspflicht für Abrisse einführen. Das Konzept wurde in der Ministerkonferenz bereits vorgestellt: „Wir stoßen damit auf großes Interesse, vor circa zwei Jahren war es noch weniger intensiv. Wir merken, die Zeit ist reif,“ sagt Bunnemann.

Constantin Hörburger lenkt den Blick von der materiellen auf die gesellschaftliche Nachhaltigkeit, er ist Architekt und führt an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ein „Reallabor Space Sharing“ für neue Konzepte der Nutzungsintensivierung des Baubestands. Sein Fokus sind die Bauten der 1960er und 1970er Jahre. „Das Image der Bauten ist problembehaftet, doch sie bieten bisher viel zu wenig beachtete, vielfältige Raumqualitäten und -potentiale.“ Oft beschränke sich die Wahrnehmung auf die Oberflächen, so Hörburger, und der Blick ins Innere fehle: Dort bieten sich Kommunikationsräume mit vertikalen Öffnungen und räumlicher Offenheit, die sich vielfältig erschließen, nutzen und aneignen ließen.

Timm Sassen, Architekt und Ökonom, Geschäftsführer der Greyfield Group, die Bestandsimmobilien entwickelt, sieht es als dringend geboten an, CO2-Emissionen und Ressourcen im gesamten Lebenszyklus zu betrachten: „Bis zu 70% der Emissionen entstehen bei der Herstellung, wir sollten also nicht so sehr über den Betrieb nachdenken, sondern intensiver darüber, wie wir die Herstellung klimaneutral erreichen können.“ Sassen plädiert außerdem dafür, das Kriterium CO2-Bilanz in Architekturwettbewerben aufzunehmen und so positivere Ausgangsbedingungen für den Bestandserhalt zu schaffen.

Abb.: Greyfield Group
Abb.: Greyfield Group

Tim Rieniets, Architekt und Professor für Stadt- und Raumentwicklung in Hannover, moderiert die anschließende Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum. Prof. Sattler als Präsident der DGNB stellt ein neues Zertifikat in Aussicht, das den Bestand in den Vordergrund stellen wird. Für die Transformation der Immobilienwirtschaft, hin zur Bestandserhaltung, hält Timm Sassen die Steuerungswirkung der DGNB insbesondere für den Kapitalmarkt für recht zentral: Bisher sind in sogenannten nachhaltigen Portfolios nur DGNB-zertifizierte Neubauten aufgeführt; mit Zertifikaten für Bestandsgebäude ließe sich auch für diesen Markt mehr Kapital generieren.

Ansprüche zu verschlanken und Standards herunterzufahren ist das Gebot der Stunde, so wird vielfach formuliert. Eine transparente Ausgangsbilanz zur Emmissionslage zu schaffen, dass verbleibende CO2-Budget zu beziffern und dann klar zu steuern, wofür es „ausgegeben“ wird, ist das dringende, wichtige Anliegen an die Stadt gerichtet. Und dabei – das hat die Veranstaltung klar gezeigt – ist Umbau statt Neubau nicht etwa eine von mehreren Optionen, die man hat. Wenn die Stadt ihr selbst gestecktes Ziel der Klimaneutralität bis 2035 ernst nimmt, dann ist Umbau die einzige Option.

Autorin: Ira Scheibe

 

Und hier noch der Link zum Nachhören dieses Montaggesprächs:
https://www.youtube.com/watch?v=lNSkGhlzaRA