Themen

,

NACHBERICHT: Mehr Stadt am Rand? Perspektiven für Kreuzfeld.

28. März 2022

Foto: Elke Beccard
Foto: Elke Beccard
v. l.: Jeanette Beck, Christoph Huttenloher, Prof. Florian Storch, Sabine Pakulat, Prof. Yasemin Utku und Eva Herr

Es ist ja nicht so, dass das Projekt ganz am Anfang stünde. Der wettbewerbliche Dialog zum Städtebau im Kölner Norden ist bereits mit dem Siegerentwurf „The Woodhood – Kreuzfeld Gartenstadt 2.0“ zum Abschluss gekommen, und die integrale Planung auf dieser Grundlage wird die nächste Etappe im Prozess sein. Doch der BDA Köln ging noch einmal in die Kontroverse mit der Gretchenfrage, ob ein solches Vorhaben – Bauen auf der grünen Wiese – überhaupt noch zeitgemäß ist.

Acker mit S-Bahn Anschluss

Zum Stand der Dinge referierte Eva Herr, Leiterin des Kölner Stadtplanungsamtes; unter sechs eingereichten Entwürfen hatte sich das Planungsteam Adept mit Karres en Brands, Argus und Metabolic durchgesetzt. Ihr Entwurf will dicht bebaute und nutzungsgemischte „Hoods“ um innenliegende Plätze organisieren, die das städtische Leben bündeln und Menschen zusammenbringen. Ein grünes, urbanes Zentrum mit geschlossenen Energie- und Materialkreisläufen sowie autofreien Wegen soll entstehen. Anders als zum Beispiel bei Rondorf Nordwest gehört in Kreuzfeld der Boden der Stadt und bietet, so Eva Herr, die „seltene Situation, dass man einen Acker mit S-Bahn-Anschluss hat.“

Abb. Stadt Köln
Abb. Stadt Köln
Siegerentwurf Köln-Kreuzfeld „The Woodhood“
Planungsteam Adept mit Karres en Brands, Argus und Metabolic

Köln wächst und wächst und …

„Meine These ist, dass Köln deutlich mehr bauen muss.“ Für Prof. Dr. Michael Voigtländer, Immobilienökonom am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, ist die Sache klar und das Problem mit Kreuzfeld eher, dass man das Vorhaben erst jetzt angeht und die Bebauung seiner Meinung nach kompakter sein könne. Die Relation von fertiggestellten Wohnungen zum Bedarf lag in der Erhebungszeit zwischen 2016 und 2020 in Köln bei 40 %, die jährliche Bautätigkeit je 1.000 Einwohner in diesem Zeitraum bei 2,5 Wohnungen. Der Spitzenreiter Frankfurt am Main baute mit 6,1 Wohnungen pro 1000 Einwohner mehr als doppelt so viel.

Alternativen für Wohnungssuchende wären für Voigtländer im Ruhrgebiet und in der Eifel zu finden, doch die mangelhafte Infrastruktur – Netzausbau, ÖPNV, Schulen – behindere diese Entwicklung. Sein Institut prognostiziert bis mindestens 2035 ein weiteres Wachstum für Köln und andere Großstädte: „Die Dienstleistungsgesellschaft braucht den Kontakt, den die Städte bieten.“

Städtische Flächen – sozial faire Preise?

Christian Huttenloher, Generalsekretär Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung in Berlin, hat den landesweiten Überblick: „Der Vorrang der Innen- vor der Außenentwicklung ist als Leitgedanke nachhaltiger Stadtentwicklung größtenteils bundesweit etabliert.“ Eine maßvolle Außenentwicklung hält er jedoch mancherorts für notwendig, um den Wohnungsmarkt zu entlasten; eine Voraussetzung dafür sei eine gute Anbindung an ÖPNV sowie alternative Mobilitätskonzepte und Radschnellwege.

Niedrigere Ausgangspreise und gute Steuerungsmöglichkeiten für eine Mischung an Preissegmenten und flächensparenden Wohnformen sprächen für städtebauliche Entwicklungsprojekte wie zum Beispiel auch Freiburg-Dietenbach, München-Nordost und den Konstanzer „Hafner.“ Huttenlohers Empfehlung zu Kreuzfeld lautet, „einen intensiven Diskussions- und Mitgestaltungsprozess zu initiieren und für die Flächen in städtischem Eigentum auf eine gemeinwohlorientierte Bodenpreisgestaltung hinzuwirken.“

Bericht aus Bern

Bekanntlich hat die Schweiz viele Berge und wenig besiedelbare Fläche, folglich geht man sehr sorgsam damit um. Wird Fläche als Bauland „eingezont“, muss sie an anderer Stelle wieder aus- bzw. rückgezont werden. Jeder B-Plan geht in die Volksabstimmung. Zur verstärkten Innenverdichtung werden zum Beispiel Verkehrsinfrastrukturen zurückgebaut oder 50er-Jahre Siedlungen abgerissen und kompakter neu gebaut. „Ich kann aber verstehen,“ so Jeanette Beck, Stadtplanerin und Bereichsleiterin des Stadtplanungsamtes in Bern, „dass es ein Befreiungsschlag sein kann, auf der grünen Wiese zu bauen. Und es kann sogar einen ökologischen Mehrwert bringen; ich wünsche dem Projekt einen solchen Mut zur Radikalität.“

Kalte Luft

So oder so geht es um kalte Luft: Um den Schutz der Kaltluftentstehungsgebiete nebst Flora und Fauna. Oder um soziale Kälte in einem Köln als Closed Shop, mit Wohnraum nur noch für die, die ihn sich leisten können. Ihre Partei, die Grünen, habe sich jahrelang gegen Kreuzfeld gewehrt, sagt Sabine Pakulat, Vorsitzende des Kölner Stadtentwicklungsausschusses. „Wir haben uns für die wachsende Stadt entschieden, weil wir nicht diejenigen ausschließen wollen, die wenig Geld haben. Für Kreuzfeld spricht, dass ein S-Bahn Anschluss vorhanden ist und dass der Boden der Stadt gehört und wir über die Bodenpolitik die richtigen Weichen stellen können.“

Zurück zur Frage, ob eine Planung, wie für das neue Wohngebiet im Kölner Norden, heute noch zeitgemäß ist: „Die Entscheidung für Kreuzfeld ist gefallen, bevor der Klimanotstand ausgerufen worden ist. In diesem Jahr wäre sie eventuell anders ausgefallen,“ sagt Sabine Pakulat dazu. Es wird also weiter geplant, und die Perspektiven für Kreuzfeld von der sozial verträglichen Bodenpreisgestaltung bis zum ökologisch verträglichen Bauen werden noch viele Montagabende füllen.

Ira Scheibe