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RÜCKBLICK – LESS IS MORE – ARCHITEKTUR DES POSITIVEN VERZICHTS IN DER REGION

22. Dezember 2021

Postwachstum
Less is more – Architektur eines positiven Verzichts in der Region

Bis zum 27. Februar ist die Ausstellung „Nimmersatt? Gesellschaft ohne Wachstum denken“ in den drei Münsteraner Institutionen – LWL-Museum für Kunst und Kultur, Kunsthalle Münster und Westfälischer Kunstverein – zu sehen. In Kooperation mit den Kuratorinnen der Schau, Merle Radtke, Kristina Scepanski und Marianne Wagner hat der BDA Münster Münsterland die Diskussionsreihe „Less is more“ initiiert. Zum Auftakt sprachen am 9. Dezember die Raumplanerin Gerlind Weber, der ehemalige Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und der Politiker Klaus Töpfer sowie der Wirtschaftsgeograf Christian Schulz.

Foto: AE Rental
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Christian Schulz, Klaus Töpfer, Gerlind Weber und David Kasparek bei der Podiumsdiskussion

Christian Schulz, der am Department of Geography and Spatial Planning der Université du Luxembourg lehrt, räumte eingangs mit dem Vorurteil auf, Postwachstum hänge der Idee einer Rezession oder Schrumpfung nach. Viel mehr, so der Hochschullehrer, gehe es darum, Wachstumszwänge zu überwinden und damit einen Weg zu mehr Wohlergehen zu finden. Analog zu den Begriffen „Entschleunigung“ und „Entwöhnung“ schlug Schulz den Begriff „Entwachstum“ als Pendant zum französischen „Décroissance“ oder dem englischen „Degrowth“ vor. Wie bei der Entwöhnung von einer Droge gehe es darum, von der Abhängigkeit vom steten und erzwungenen Wachstum wegzukommen. Tim Jackson umschrieb das in seinem Bericht an die britische Nachhaltigkeitskommission als „Wohlstand ohne Wachstum“, so Schulz. Mit Blick auf vermeintliche Effizienz-Berechnungen wies er darauf hin, dass sich die weltweite Wirtschaftsleistung eben nicht vom Ressourcenverbrauch entkoppeln lasse. Das zeigten die Daten der letzten vierzig Jahre: Zwischen 1970 und 2015 wuchsen globale Wirtschaftsleistung und Materialkonsum weitestgehend parallel. Statt einer Entkopplung, wie man sie in manchen Sektoren zwar beobachten könne, komme es etwa im Bausektor zu einem „Re-Coupling“ der Kurven, die den Anstieg von erbrachter Leistung und dafür aufgewendeten Ressourcen beschrieben. Statt also im Rahmen einer Wachstumsgesellschaft auf Effizienz zu setzen, und beispielsweise auf bessere Wirkungsgrade bei Dämmung oder technischer Parameter zu hoffen, gelte es die Konsistenz voranzubringen, also geschlossene Material- und Energiekreisläufe zu etablieren und darüber hinaus vor allem eine grundlegende Suffizienz aufzubauen. Dabei, so Schulz, gehe es auch mit Blick auf die Flächen, die wir für unsere Ansiedlungen benötigten, um eine „absolute Reduktion von Ressourcenverbräuchen“.

Foto: AE Rental
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Christian Schulz, Department of Geography and Spatial Planning, Université du Luxembourg

Klaus Töpfer unterstrich diese Forderung, in dem er von den Erfahrungen berichtete, die er in seiner Zeit als Unter-Generalsekretär und Generaldirektor des Büros der Vereinten Nationen in Nairobi sammelte. Anhand von zwei Karten veranschaulichte der ehemalige Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau das Missverhältnis zwischen globalem Norden und Süden. Während im globalen Norden, also in Nordamerika, Westeuropa sowie Japan und Südkorea relativ gesehen kleine und alte Gesellschaften durch immenses Wirtschaftswachstum nicht nur Reichtum anhäufen, sondern auch für den Großteil der globalen Ressourcenverbräuche und damit Umweltverschmutzungen verantwortlich sind, zahlten die jungen und zahlenmäßig größeren Gesellschaften des globalen Südens genau dafür. Es sei mit Blick auf die Folgen, die das Wachstum des Nordens schon heute zeitigt, schlicht nicht denkbar, dass wir in gleicher Weise als weltweite Gesellschaft weiter wachsen. Wir müssen als globale Weltgemeinschaft, „die auf 10 Milliarden Menschen zuläuft“, wie Töpfer betonte, andere Stellschrauben ansetzen als auf permanentes Wachstum zu fokussieren. Die notwendige Transformation müsse verbunden werden mit einem Ausgleich der weltweiten Unterschiede. Wo der globale Norden bis dato vom Wachstum profitiere, werde dies im wahrsten Wortsinn vom globalen Süden bezahlt. „Externalisierung von Kosten, nennen das die Ökonomen“, so Töpfer. „Du hast zwar die Kosten verursacht, lässt aber andere dafür bezahlen. Entweder in der zeitlichen Dimension, es wird also später bezahlt, oder in der räumlichen, also, dass andere an anderen Orten dafür bezahlen.“ Die Postwachstumsgesellschaft, so Klaus Töpfer müsse ebenso globalisierungsfähig sein wie fehlerfreundlich, was gegen Atomkraft spreche, wie der ehemalige Minister für Reaktorsicherheit betonte. Statt wirtschaftliches Wachstum zu messen, plädierte er für die Erfassung des Glücks und der Zufriedenheit der Menschen.

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Klaus Töpfer, IASS Institute for Advanced Sustainability Studies Potsdam

Gerlind Weber vom Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung der Universität für Bodenkultur in Wien wurde abschließend wieder konkreter. Wissenschaftlich fundiert belegte sie anhand von eindrücklichen Zahlen die notwendige Abkehr vom Flächenfraß, den unsere momentane Raumplanung betreibe. Sie plädierte nicht nur für eine Beendigung der Spekulationen mit dem „endlichen Gut Boden“, sondern auch für eine radikale Abkehr von der Außenentwicklung. Statt also mehr und mehr Neubaugebiete an ihren Rändern auszuweisen, müssten Städte und Kommunen umschwenken und die bestehenden Strukturen im Innern weiterentwickeln, verdichten und verbessern. Dabei gehe es, so Weber, um vielschichtige Zusammenhänge. Angefangen vom Erhalt der Biodiversität über die soziale Komponente durch die Eindämmung von Bodenspekulation bis hin zur Ermöglichung resilienter Strukturen, die Wetterextreme besser abfangen können, und dem Erhalt von Flächen für Landwirtschaft, machte Gerlind Weber einen beeindruckenden holistischen Rundumschlag, der in einer Vielzahl konkreter Handlungsmaximen gipfelte.

Foto: AE Rental
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Gerlind Weber, IRUB Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung, Universität für Bodenkultur Wien

Sowohl die drei Impulsvorträge wie die anschließende Diskussion mit Moderator David Kasparek können im Video nachvollzogen werden.

 

Weitere Impressionen:

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Christian Schulz, Klaus Töpfer, Gerlind Weber und David Kasparek bei der Podiumsdiskussion

 

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Christian Schulz, Department of Geography and Spatial Planning, Université du Luxembourg

 

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Klaus Töpfer, IASS Institute for Advanced Sustainability Studies Potsdam

 

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David Kasparek, Moderation

 

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Gerlind Weber, IRUB Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung, Universität für Bodenkultur Wien

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