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“If you plan for cars and traffic you get cars and traffic”: Eine Nachlese zur Landesreihe „Stadt in Bewegung“

3. Dezember 2019

Der BDA NRW machte mobil: Angelehnt an das BDA-Positionspapier „Das Haus der Erde“ rief er seine Gruppen auf, das Thema Mobilität gemeinsam in einer dreiwöchigen Landesreihe zu behandeln. Und bewegt waren diese 15 Veranstaltungen in 12 Städten, nicht nur inhaltlich, sondern es fanden auch Exkursionen zu Fuß und mit dem Rad und mehrtägige Workshops in den Straßen NRWs statt.

Jede einzelne Stadt hat ihr eigenes Thema, doch die Rollenverteilung auf den Podien glich sich in verblüffender Weise: Hier die Planer aus dem In- und Ausland, die machbare Konzepte und Erfolgsprojekte vorstellten, und da Vertreter aus Politik und Verwaltung, die das für ihre Städte in den meisten Fällen nicht konnten und ihre Sätze auffallend oft mit „ja, aber“ einleiteten. Und dazwischen im Publikum diejenigen, die Sehnsucht haben, dass sich etwas ändert in unseren Straßen und in unseren Köpfen. Wie schaffen wir es, uns in Bewegung zu setzen?

 

Man muss wissen, wo man hinwill

Zum Auftakt sprach Thomas Madreiter, Planungsdirektor in Wien, über die 2014 eingeführte Stadtentwicklungsstrategie „Smart City Wien.“ Dieser tiefgreifende Transformationsprozess sieht Mobilitätskonzepte in einem breiten Zusammenhang mit sozialen Fragen, bei aller Innovation steht die humane Ausrichtung im Vordergrund. Wien hat die Latte richtig hoch gehängt. Der Erfolg gibt der Stadt recht, sie landet bei Rankings zur „lebenswertesten Stadt der Welt“ regelmäßig ganz hoch oben.

 

©Christoph Bünten

Thomas Madreiter stellt beim BDA Gespräch die Kernidee der Smart City Wien vor

Während Wien schon an mehreren, eng verzahnten Zielbereichen arbeitet, geht es in den NRW-Städten um einen deutlich lokalisierbaren Schmerzherd. Es gilt, „die dominante Stellung des motorisierten Verkehrs zu beenden und den gesamten Verkehr mit dem sozialen Leben, der Kultur und der Geschichte des Raumes ins Gleichgewicht zu bringen.“ So formulierte es Jens Toschläger, der Erste Beigeordnete der Stadt Unna bei der Veranstaltung „Shared Space“ des BDA Dortmund Hamm Unna. Stringente Strategien, um dieses Ziel zu erreichen, gibt es wenige in NRW.

 

Vorher Nachher – Wie die Stadt aussehen könnte

Visionen zu verbildlichen, kann Entwicklungen in Gang bringen. Thimo Weitemeier ist Stadtbaurat in Nordhorn und brachte Bilder mit von daheim. Die Stadt in Niedersachsen hat eine Traumquote von 40% Radverkehr im Modal Split. „Wenn Straßen für Fußgänger und Radfahrer umgestaltet werden, verschwinden tatsächlich die Autos, und die Allgemeinheit gewinnt Raum für stadträumliche Qualitäten,“ verspricht Weitemeier. Kurz gesagt: Wer Autostraßen baut, kriegt Autoverkehr, und wer Radwege baut, kriegt Radfahrer. Ist es wirklich so einfach?

© Adept / Karres en Brands

If you plan for cars and traffic you get cars and traffic; if you plan for people and places you get people and places.” Planungsweisheit aus den 1980ern

Ja, das ist es, sagt Bart Brands von Karres en Brands. Die Hilversumer entwerfen einen neuen Hamburger Stadtteil mit 124 ha, 7000 Wohnungen, 5000 Arbeitsplätzen – und ohne Parkplätze! Dafür aber elf Mobility Hubs mit Parkgaragen und Quartierszentren und jede Menge Grün- und Freiflächen mit Spielplätzen, Freizeitpark und Schwimmbad. Das kann sich eben auch nur Hamburg leisten? Keineswegs, „man bekommt auch finanziell viel Freiheit, grüne Straßen anzulegen, wenn man keinen Platz zum Parken braucht“, so Brands in Köln.

 

Puddingprobe: Stadt zum Kosten

Aber die autogerechten Städte NRWs verwandeln sich nun einmal nicht über Nacht in holländische Radidyllen. Wie also kommt man vom Fleck? Indem man die Leute vom Pudding kosten lässt, meint Reinhold Knopp, der in Düsseldorf Stadt- und Kultursoziologie lehrt. Er plädiert für ein praktisches Erproben von neuen Situationen: Die Ebene der bloßen Argumentation sei zu überwinden, um zu einer spürbaren Aneignung der Räume zu kommen. Denn dann fühlen sich die Menschen für sie verantwortlich und gehen anders mit ihnen um. Und oft sind minimale Eingriffe ausreichend. Klingt gut, aber wer kocht den Pudding?

©Mira Schneider

Wie sieht die Welt ohne PKW aus? Cool! Szene im Straßenraum Verspoel

In Töpfen gerührt wurde zwar nicht in Münster, aber durchaus Hand angelegt im Reallabor NEXT VERSPOEL, um in dieser zentralen Straße – Verspoel heißt auf Hochdeutsch „Froschteich“ – drei Tage lang zu zeigen, wie die Welt ohne PKW aussehen könnte. Auf Einladung des BDA Münster-Münsterland suchten Studierende der FH Münster nach Vorschlägen für neue Aktivitäten im Straßenraum, die dann zum Teil auch temporär umgesetzt wurden. „Die nächste Generation von Planern, das hat die Zusammenarbeit mit den Studierenden gezeigt, hat keinerlei Berührungsängste mit neuen Konzepten. Für uns insgesamt eine sehr positive Erfahrung, die Modellcharakter für die Umsetzung von Zukunftsthemen wie die Mobilitätswende haben kann“, so Volker Lembken vom BDA.

 

Aneignung durch Verfremdung

Studierende der Leibniz Universität Hannover versuchte sich im Umdeuten und Neubetrachten des Raums. Sie nahmen teil an einem Workshop des BDA Gelsenkirchen zur Kurt-Schumacher-Straße, die den Stadtteil Schalke durchschneidet. Fußgänger haben wenig Platz, Radwege gibt es keine, die Berliner Brücke verdunkelt den Raum mit ihrer Wucht und Höhe. Monika Güldenberg, die örtliche BDA-Vorsitzende, resümiert: „Im Ergebnis zeigen die Arbeiten und Diskussionen des Ideenworkshops, dass die zukünftige Rolle der Kurt-Schumacher-Straße im Stadtgebiet zunächst einer Neuinterpretation bedarf, die die Visionskraft aller Prozessbeteiligten – der Bürgerschaft, der Politik und auch der Verkehrs- und Stadtplaner – erfordert.“

©Ralf Nattermann

Entlang einer tischartig aufgebauten Karte, zeigten die Studen*tinnen wo sie Orte ausfindig gemacht haben und welche Skills den gewählten Referenzorten zuschrieben wurden

 

Handel oder Leben?

Alle müssen an einem Strang ziehen: Dieser Satz fiel sehr häufig bei den Veranstaltungen. Noch ist es aber eher ein Tauziehen, zum Beispiel in Wuppertal. „Die Menschen haben eine Sehnsucht nach erlebbaren Straßenraumkonzepten“, sagte Oskar Reutter vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Sein Vorhaben: die Innenstadt von Elberfeld zu entmotorisieren. Dies ist ein Teil der „Qualitätsoffensive Innenstädte Wuppertal“, initiiert vom örtlichen BDA. Die Luisenstraße zum Beispiel ist für den motorisierten Individualverkehr sehr viel unattraktiver geworden und folglich zieht er sich zurück. Für die Mobilitätswende ist es richtig und wichtig, mit „Inseln“ zu beginnen. Der Mehrwert ist unmittelbar erlebbar. Aber eben nicht für alle: Der Technische Dezernent Wuppertals, Frank Meyer, erinnerte daran, dass Anwohner und Ladenbesitzer vor zwei Jahren eine völlig autofreie Luisenstraße verhindert hätten. „Wo parke ich dann?“ fragten sie – Sehnsüchte sind eben sehr unterschiedlich.

 

Politisches Wollen

Andreas Røhl von Jan Gehl Architects in Kopenhagen verantwortete von 2007-15 das Fahrradprogramm der dänischen Hauptstadt. Was Menschen zum Umdenken motiviert, ist für ihn der Zugewinn an Lebensqualität. Røhl erläuterte allerdings auch, dass es in Kopenhagen politisch gewollt war, deutlich attraktivere Verkehrsräume für Radfahrer anzubieten als für Autofahrer.

Und was wollen wir politisch? Zum Beispiel Essen: Die Grüne Hauptstadt Europas 2017 plante, dass im Jahr 2035 jeweils ein Viertel aller Strecken mit dem Rad, dem ÖPNV, dem Auto oder zu Fuß gemacht werden sollten. „Wir sind meilenweit davon entfernt, diese Ziele zu erreichen“ räumte die Essener Baudezernentin Simone Raskob ein. Man müsse sich entscheiden, die „ökonomische Keule auszupacken“ oder die Situation in der Innenstadt werde sich nicht bessern, sagte Manuel Frondel vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Aber die Politiker lassen sie lieber eingepackt, aus Angst, dass das Wahlvolk zurückschlägt bei den nächsten Wahlen.

Über eines sind sich in NRW alle einig: Der ÖPNV ist die Achillesferse für die Mobilitätswende. Auf deutliche Bekenntnisse der städtischen Vertreter zu einem beherzten, großflächigen Umwidmen von „schwarzer Infrastruktur“, also von Flächen für den Automobilverkehr in „blaue“ für den ÖPNV, hoffte man vergebens.

 

Zukunftsmodell Stadt und Land

Auch Ostwestfalen-Lippe steht vor der Herausforderung, den ÖPNV massiv auszubauen. In der überwiegend ländlich geprägten Gegend um Bielefeld und Paderborn sind die Pendlerströme per PKW in die Zentren immens. Annette Nothnagel, Leiterin der Regionale OWL 2022, beschrieb die polyzentrische Region als ein Zukunftsmodell, durch das eine neue Balance von Stadt und Land Wirklichkeit werden kann. Mobility Hubs bieten auch Chancen für die ländlichen Regionen, hier ließen sich kompakte Dienstleistungszentren aufbauen.

Auch Bonn hat einen Plan für Hubs. Eine Entwurfswerkstatt zum Ausbau des ehemaligen Regierungsviertels brachte auch ein interessantes Mobilitätskonzept hervor. Cityförster aus Hannover schlagen vier RegioHubs in der Peripherie vor, die die Einpendler an Stadtbahnstrecken vor den Toren der Stadt abfangen sollen. Viele „Abers“ in den Köpfen stehen in Bonn dem Win-Win-Projekt für Stadt und Peripherie noch im Wege.

Die BDA Landesreihe zeigte eines sehr deutlich: An Ideen, Konzepten und praktischen Ansätzen zur Reduzierung des Individualverkehrs in unseren Städten mangelt es nicht, sondern an Mut und Entschlusskraft. „Warum akzeptieren wir immer noch die Dominanz des Autos in der Stadt?“ lautete eine der zentralen Fragen der Veranstaltungen. Die Antwort ist einfach: Weil sie gewollt ist. Von dem Teil der Stadtgesellschaft, der nicht im Publikum saß.

 

Ira Scheibe

 

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