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Wandler zwischen den Zeiten

16. Juli 2018

Walter von Lom zum 80. Geburtstag

Es ist ein so typisches Architektenhaus, denke ich, als ich vor der Tür der Rheingasse 16 stehe. Früher, Anfang der 70er Jahre, gab es noch Baulücken mitten im Veedel, da hatte einer den Mut genauso wie er wohnen und arbeiten wollte, zu bauen. Konzepte für das Leben und Architekturschaffen an einem Ort, die lange vor der Work-Live-Balance-Ära entwickelt wurden, gibt es neben dem der von Loms einige in Köln, das der Schürmanns, der Ungers, der Schallers oder der Schneider-Wesslings. Und es ist kein Zufall, dass einige dieser Namen im nachfolgenden Gespräch gleich mehrfach auftauchten. Sie kennen sich, sie beobachten sich und sie schätzen sich seit Jahrzehnten. Doch dazu später mehr.

 

© Friederike von Lom

„Ich zeige Ihnen erstmal das Haus“, sagte Walter von Lom (*1938 in Krefeld), kaum dass ich meine Tasche im Besprechungsraum seines Büros abgestellt habe, und ist schon auf dem Weg zum Aufzug. Ganz schön flott, immerhin bin ich ja anlässlich seines 80. Geburtstags hier. Und in genau diesem Tempo geht es durch das Haus, mit dem orangeroten Aufzug nach oben, durch Wohnetagen mit geschmackvoll arrangierten und wohl dosierten Möbel- und Sammlerstücken aus vielen Jahrzehnten, über die schmale Wendeltreppe in die ehemalige Kinderetage darunter. Ein paar Stufen markieren den Übergang von der 16 in das historische Nachbarhaus, die Nummer 14. Terrassen zum Hof, große Fenster zu beiden Seiten, Stadt und Licht auf der einen Seite, Stadt und Grün auf der anderen, und alles greift ineinander.

 

Büro und Wohnung von Lom in der Rheingasse 14 und 16 © Foto: Walter von Lom

 

Mit dem Aufzug geht es wieder hinunter, über die Straße in die 14, obwohl es da sicher auch unterirdisch noch eine Verbindung geben muss. Dort war bis 2012 das Büro der von Lom Planungs GmbH für Generalplanung und städtebauliche Aufgaben, 1993 hatte von Lom Hubert Meuser sowie Dierk und Siegfried Ellegiers zu seinen Partnern gemacht, 1999 mit ihnen und Bernhard Werth die GmbH gegründet. Von den früheren Partnern sitzt dort heute noch einer, die anderen Arbeitsplätze sind vermietet, denn Leerstand, Stillstand mag von Lom bis heute nicht. Teile des zweiten Untergeschosses nutzt er selbst als Archiv. Hier lagen Hunderte von Zeichenrollen, ordentlich in Regalen bis zur Decke und alle beschriftet. Daneben ein Raum mit Modellen. Wo könnte er besser darstellen, worauf er heute zurückblickt? Es ist beeindruckend und irgendwie beruhigend, dass er auch hierüber noch die Kontrolle hat, denn das Archiv-Thema ist in Köln ja nicht unbedingt ein gutes.

 

Archiv von Lom in der Rheingasse © Foto: Uta Winterhager

Die eigenen Wurzeln

Unterwegs hat er schon einiges erzählt, von dem Büro, von der Familie und zwischen den Zeilen war viel zu seiner Haltung zu entnehmen. Dass er kein Dogmatiker ist zum Beispiel, sondern einer, der vermitteln möchte. Er hätte auch einfach weiter so erzählen können, doch eine Retrospektive wie diese sollte am Anfang beginnen – was hat ihn also damals zur Architektur gebracht? Die Verbindung einer geistigen und handwerklichen Arbeit, sagt er, das Konkrete habe ihn am meisten interessiert, er sei kein Theoretiker gewesen, sondern immer auf der praktischen Seite. Und doch hat er schon früh erkannt, wie wichtig es ist, über Architektur und – wie wir es heute nennen – Baukultur zu sprechen. So hat er nicht nur seinen Abiturjahrgang, sondern auch seinen Bundeswehrzug über die IBA 57 in Berlin geführt und ihnen die Schwangere Auster und die Corbusier-Bauten erklärt, weil ihm das alles so imponiert hatte.

Zwillingshochbunker Überbauung, Oberhausen, Wettbewerb 1983, Fertigstellung 1987 © Walter von Lom, Fotograf Martin Claßen

Während des Studiums an der RWTH Aachen traf er auf Professoren, die ihn nachhaltig beeindruckt haben, zum Beispiel Rudolf Steinbach, einen ehemaligen Mitarbeiter von Rudolf Schwarz, der von 1951-66 den Lehrstuhl für Baukonstruktionslehre leitete. Dort lernte von Lom etwas für seine Generation Unerhörtes: Das kritische Denken, das die Suche nach eigenen Lösungen bedingt. Auch Fritz Eller und Gottfried Böhm kamen als sehr unterschiedliche Pole nach Aachen. Von Lom fokussierte damals auf Eller, der gerade in Düsseldorf das Dreischeibenhaus für HPP mit seinen Partnern Moser, Walter (1960) fertiggestellt hatte, denn das, so sagt er anerkennend, sei nach wie vor das schönste Hochhaus, das er kenne.

Freilichtmuseum Kommern © Walter von Lom

Der Kölner Kontext

Auch junge, erfolgreiche Architekten wie Joachim Schürmann und O.M. Ungers präsentierten sich und ihre Werke den Studenten der RWTH. Nach dem Diplom hatte sich von Lom bei ihnen und bei Paul Schneider-Essleben beworben, alle drei hätten ihn genommen, doch er entschied sich für die Schürmanns und blieb dort von 1966-72. Beide Schürmanns, Joachim und Margot, hätten mit einer unglaublichen Intensität gearbeitet, erinnert er sich, immer wieder korrigiert und reduziert, damit es klar wurde. Das Minimieren war damals ihr Thema – und wenn an den dünnen Profilen im Winter auch das Kondenswasser runterlief, habe man es halt in Kauf genommen. Die Schürmanns seien aber nie Künstlerarchitekten wie zum Beispiel Böhm gewesen. Sein größter Meister, der beide Talente besitze, das Künstlerische und das Konstruktive, war und ist Alvar Aalto. „Ich habe auch nicht beides richtig…“, fügt er noch hinzu. Aber es gebe für ihn drei Grundsätze, mit denen er über 50 Jahre geplant und gebaut habe: Erstes Gebot sei die Berücksichtigung des Ortes, ob im Wald wie in Kommern oder in der Kölner Innenstadt. Das Zweite sei die Nutzungsvielfalt – Wohnung, Museum oder Verwaltung können nicht das gleiche Gesicht haben, „Perfektionismus ist außerdem langweilig“. Und drittens müsse in jedem Bau ein Stück der Persönlichkeit von Architekt und Bauherrn drinstecken, nur dann werde es gute, indentifizierbare Architektur. Der gesteht er viel zu, von der Wildheit wie bei Behnisch und Zaha Hadid bis zur Klarheit Mies van der Rohes.

St. Maria Herten © Walter von Lom

„Mein Spektrum ist relativ breit“, antwortet er auf die Frage nach seiner eigenen Handschrift, seinem Stil. „Ein wenig ist es die Normalität, die nicht spektakulären Antworten, aber immer mit einer eigenen Kraft“. Sein umfassendes Oeuvre beziffert er auf 120 Bauten, doch nur 40 würde er dokumentiert vorzeigen. Eine von Andreas Denk begleitete Ausstellung wird im September im UAA eine Auswahl von dreizehn Projekten zeigen.

Noch einmal zurück zum Anfang: Für die Entwicklung des Büros von Lom seien die Startprojekte wichtig gewesen: Lemgo und die Rheingasse, die man im Zusammenhang sehen muss, weil die Antworten ganz ähnlich sind. Den Wettbewerb für die Sanierung und Ergänzung des historischen Zentrums von Lemgo (1973), gewann er, weil er die bestehenden Strukturen so überzeugend fortsetzen konnte, statt abzureißen und neuzubauen. Dann gab der gelungene Bau der Rheingasse 16 (1974) die Legitimation für die Beauftragung in Lemgo. Danach kam Kommern (1977), wo er die Pavillons für die Ausstellung des Freilichtmuseums als lichte Holzkonstruktionen in den Wald stellte, um den Blick auf die Umgebung nicht zu verstellen. Und schließlich folgten der Wettbewerb und die Erweiterung der Kirche St. Maria Herten (1977), deren kreuzförmige Rudiment er sinnfällig ergänzte. Auf diese vier, zahlreich ausgezeichneten Projekte konnte er, wenn auch nicht finanziell, immerhin inhaltlich aufbauen.

„Wahnsinnig viele“ Wettbewerbe, rund 400, habe er mitgemacht. Oft wurde er, und hier trug auch die Zeit bei Schürmanns Früchte, zur Teilnahme aufgefordert. Gewonnen hat er davon etwa ein Zehntel, gut die Hälfte bekam immerhin einen Preis. So kamen rund 90 Prozent der Aufträge aus Wettbewerbsgewinnen. Und statt mir seine sämtlichen Erfolge aufzulisten, blickt er mit etwas Wehmut darauf zurück, dass nicht jeder Entwurf so erfolgreich war wie erhofft, dass einer der schönsten ersten Preise, die Domsingschule Köln nie gebaut wurde.

Wettbewerb Domsingschule Köln © Walter von Lom

Nach den frühen Projekten, für die er in ihrem historischen Kontext ganz eigene, sehr zeitgenössischer Lösungen entwickelt hatte, kamen einige Aufträge direkt über die Denkmalpflege, wie das Kaufhaus Leffers am Bonner Münsterplatz (1986), wo er mit Betonfertigteilen auf die gründerzeitlichen Nachbarn reagierte oder die Trinkwasseraufbereitungsanlage in Köln-Westhoven (1988), die er mit einem Stahl-Glasbau erweiterte – „irgendwie ist es eine Antwort geworden suf die Wasserwerksfassade der Gründerzeit“, sagt er heute schmunzelnd. Jaja, die Achtziger, denke ich, modern – aber für uns Jüngere stilistisch schwer einzuordnen. Auch der Umbau der denkmalgeschützen Halle 11 zum Deutsche Sport und Olympia Museum (1999) mit dem populären Ballspielplatz auf dem Dach war ein Direktauftrag.

 

Wettbewerb Wallraf Richartz Museum © Walter von Lom

 

Aus den frühen Kontakten zur Kirche kamen zahlreiche Aufforderungen zur Teilnahme an Wettbewerben, zwei markante Projekte, das Altenzentrum Haus Grefsgarten in Viersen (1984), „keine Käfterchengeschichte mehr, eher ein Marktplatz“, und das Kölner Altenzentrum St. Vincenz (1986) bereiteten die Basis für zahlreiche soziale Bauten.

 

Deutsches Sport- und Olympiamuseum Köln, 1999 © Walter von Lom

In rund 350 Preisgerichten hat Walter von Lom in den letzten Jahrzehnten gesessen und darin viele wichtige Entscheidungen in Köln aber auch Deutschlandweit mitgeprägt. Der Wettbewerb sei das beste Engagement, um Baukultur zu machen, sagt er. „Das wichtigste ist, die Politiker und Bauherren, die von Baukultur keine Ahnung hatten, mitzunehmen, so dass man das Ergebnis hinterher gemeinsam durchtragen kann.“ Ihnen die Architektur zu erklären, sei gar nicht so schwer, aber man müsse sich die Zeit dazu nehmen, zweitätige Jurysitzungen seinen aus diesem Grund früher die Regel gewesen, heute müsse alles schneller gehen. Aber „gute Architektur muss immer auch provozieren, wir brauchen Diskussionen.“ Dieser Haltung ist es auch zu verdanken, dass er keine Scheu hatte, neben dem Berufsalltag auch Ämter zu bekleiden, wie den Vorsitzender des BDA Köln 1987 bis 1991. Gab es eine Institution nicht, die er für notwendig hielt, wurde er initiativ tätig und regte trotz großer Widerstände die Schaffung eines Gestaltungsbeirates in Köln an, deren Vorsitzender er 1988 bis 1996 war. Heute hat es sich längst eingebürgert, bei kritischen Themen den Gestaltungsbeirat zu befragen – eine Stimme die gehört wird. Von 1996 bis 1999 war von Lom Präsidiumsmitglied des Bundes Deutscher Architekten, von 2007 bis 2014 wirkte er als Vorstandsmitglied des Fördervereins der Bundesstiftung Baukultur, deren Gründungsmitglied der ebenfalls war, von 2003 bis 2009 Vorsitzender des Architekturforums Rheinland, seit 2012 ist er im Vorstand des Fördervereins Baukunst Archiv NRW.

Baukulturelle Diskussion

Von Lom mischt sich auch heute noch ein, hat eine Meinung, eine Haltung, so beobachtet er auch die Diskussion um die Historische Mitte Köln. Staab habe die Qualität es gut zu machen, und es sei richtig gewesen, dass der Rat erst die Gesamtplanung, aber noch nicht die Umsetzung beauftragt habe, damit Zeit für eine „vernünftige Auseinandersetzung“ bleibe. Am Abend unseres Treffens will er als Zuhörer noch zum Montagsgespräch des BDA, es geht um die Nutzung der Erdgeschosse in den Innenstädten, „ein ganz wichtiges Thema“. Die baukulturelle Diskussion überall hinzutragen, insbesondere in die Politik, ist ihm bis heute ein Anliegen.

Und dann komme ich noch einmal auf etwas zurück, das er eben im Aufzug schon angedeutet hatte: War es früher einfacher für die jungen Architekten? Das Zutrauen zu Jungen, die noch nicht so viel gebaut haben, sei heute nicht mehr da – in Lemgo zum Beispiel haben sie ihm vertraut. Auch Peter Kulka und seine Partner seien noch sehr jung gewesen, als sie 1970 die Universität Bielefeld gebaut haben, aber sie hatte den ersten Preis beim Wettbewerb gewonnen und es gab jemanden im Ministerium, der die Verantwortung übernahm und gesagt hat wir machen das mit ihnen. Diese Persönlichkeiten, die selbst Verantwortung übernehmen, werden, so seine Beobachtung, leider immer weniger.

„Unter Kollegen muss man kollegial sein.“ Dieser Satz bleibt aus dem weiteren Verlauf des Gespräches hängen. Denn so selbstverständlich wie die Formulierung es nahelegt, ist das heute nicht mehr. Walter von Lom hat viel geschaffen, als Architekt, aber auch als Kollege, als einer, der sein Fachwissen teilt und sich nicht scheut, es in der Breite zu vermitteln – angewandte Baukultur, davon wünschen wir uns mehr.

Der BDA Köln gratuliert ganz herzlich!

 

Uta Winterhager