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Rückblick: BDA-Gespräch 2017 „Mehr Mischung wagen!“

24. Oktober 2017

Die BDA-Veranstaltungsreihe „Die Mischung macht‘s“, die mit dem BDA-Gespräch „Mehr Mischung wagen“ am 16. Oktober 2017 in Düsseldorf zum Abschluss kam, hatte aktuelle Tendenzen und Phänomene im Blick. Insbesondere die, dass etliche Stadtquartiere, die als Antwort auf die gestiegene Nachfrage nach innerstädtischem Wohnraum in den letzten Jahren hochgezogen wurden, in ihrer Monofunktionalität und typologischen Homogenität dem Idealbild einer gemischten Stadt in teilweise erschreckendem Maße zuwider laufen. Oder dass die Segregation in den vergangenen Jahren in den Städten sich sichtbar verstärkt hat. Man könnte auch das Thema Flüchtlinge anführen, bei dem Mischungsfragen bekanntlich weitere Brisanz besitzen.

Dr. Stefan Gärtner: Zur gemischten Stadt gehört auch die „urbane Produktion“

Sichtet man die Phänomene, so scheint es also der zuletzt stark in den Fokus gerückte Sektor Wohnen zu sein, der das Leitbild der funktionsgemischten Stadt bedroht. Gegenzusteuern hieße daher zunächst, angesichts der Dringlichkeit, Wohnraum zu schaffen, nicht das Gesamtbild der Stadt aus den Augen zu verlieren. Zu diesem Gesamtbild gehört auch der manchmal vergessene und vielfach verschwundene Faktor Produktion. Stefan Gärtner, Direktor am Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, analysierte eine aktuelle städtebauliche Situation, in der die Mischung von Wohnen und Arbeiten bestenfalls in der Integration von Dienstleistungen, vor allem Gastronomie, in bestehende Quartiere bestehe. Die postindustrielle, produktionsfreie Stadt würde der Gentrifizierung und der weiteren Segregation gerade nicht entgegenwirken, sondern sie sogar fördern. Überhaupt, so ließe sich Gärtners Ansatz wohl interpretieren, seien urbane Mischungsfragen letztlich soziale Fragen.

Wie aber bzw. in welcher Größenordnung soll gemischt werden – grobkörnig, ganze Viertel betreffend, oder feinkörnig, die einzelne Straße betreffend? Welche planungsrechtlichen Möglichkeiten gibt es? Inwiefern bestehen tatsächlich die emissionsbedingten (Lärm, Geruch) Nutzungskonflikte? Die positiven Beispiele, die Gärtner anführte – von der Taschenmanufaktur in der Wuppertaler Nordstadt über die Produktion vegetarischer Feinkost in Wien bis zu Versuchen mit dem Prinzip Storefactory, wo, wie bei Adidas in Berlin-Charlottenburg, Verkaufsfläche, Designstudio und Produktionsstätte unter einem Dach vereint sind – , deuten zumindest an, dass es neben Koppelungseffekten mit anderen Produktionen und Dienstleistungen vor allem die Entwicklung hin zur digitalisierten Produktion (Produktion 4.0) ist, die Chancen für eine neue Funktionsmischung innerhalb der Stadt beinhaltet. Inwieweit die im Frühjahr in die Baunutzungsordnung neu eingeführte Gebietskategorie des „Urbanen Gebietes“ ein geeignetes Instrument ist, solche Entwicklungen zu unterstützen, wird sich erst noch zeigen. Eine stichprobenartige Umfrage in NRW-Kommunen ergab laut Gärtner, dass der Neuansatz zwar für richtig gehalten werde, aber noch nicht ausreiche. Es bedürfe letztlich, so sein Fazit, einer Gesamtstrategie, bei der Stadtplanung und Wirtschaftsförderung zusammenarbeiteten.

Auch der zweite Sprecher des Abends, Kaye Geipel, stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Bauwelt, sah angesichts des derzeitigen Booms des Wohnungsbaus Handlungsbedarf im Hinblick auf eine Nachverdichtungs-Strategie, die auf die Frage der Nutzung abhebe. Die Beispiele, die die Zeitschrift in einer Reihe von Artikeln untersucht hat, ließen keinen anderen Schluss zu, als dass eine nicht nur oberflächliche urbane Mischung durch Gewerbe nur gewinnen kann. Man dürfe nicht beim obligatorischen Café stehenbleiben, so Geipel. „Die Städte müssen hier Vorgaben machen“, wobei das Augenmerk verstärkt auf Mikrozentren innerhalb der Vorstädte gelegt werden sollte. Ein innovativer Umgang mit vorhandenen Flächen sei gefragt.

Kaye Geipel

Anschauungsmaterial gäbe es, etwa in Berlin, wo am Cottbusser Tor mit dem Neuen Kreuzberger Zentrum eine Melange von Neunutzungen inklusive Gewerbe entstand, oder in Zürichs Innenstadt, wo Garagen in Grafikstudios umgewandelt wurden, von Tübingens Französischem Viertel nicht zu sprechen, wo sich schon seit langem neben Läden auch Werkstätten in den Erdgeschossen etabliert haben. Sucht man nach einem gemeinsamen Merkmal, das in der Zukunft Schule machen könnte, so wird man – ob mit oder ohne Produktion – in kleinteiligen Lösungsansätzen wohl am ehesten eine Leitlinie für urbane Mischungen sehen. (Text: Frank Maier-Solgk, Fotos: Christoph Bünten)

Im Anschluss an die Vortragsveranstaltung: BDA-Fest im „Tafelsilber“

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